Sex, Drugs & Totenfunk: VISIONARIUM präsentiert „Sündhafte Vergnügungen“

Schnell noch ein unchristlicher Literaturtipp zur Weihnacht: In der Sonderausgabe der von Hurdy Gurdy (schon der Idee wegen) gefeierten „Gazette für phantastische Abwege“ dreht sich alles um „Sündhafte Vergnügungen“ aller Couleur. Und man muss schon sagen, da haben sich die Herren Visionäre, a.k.a. Bernhard Reicher und Dr. Nachtstrom, wirklich mal ‚was getraut. Das kann man schon anhand des einmal mehr von Jörg Vogeltanz gestalteten, diesmal in sündiges Scharlachrot getauchten Covers erahnen:

Visionarium - Sündhafte Vergnügungen

Und die Füllung? Alles, was das dunkle Herz begehrt. Sex, Drogen, Gewalt, und viele guilty pleasures mehr.

In der ersten Story, „Für Sara“ von Jeta A. Zhitia, erfahren wir zum Beispiel, dass Cunnilingus keine Wolke ist. Sondern? Ha! Googelt selbst. Oder besser, lest „Für Sara“. Aber genießt die Sinneslust nicht allzu unbedarft, denn dieses Vergnügen könnte Euch im Hals stecken bleiben…

Die zweite Story, Karin Jirsaks „Afterhour“, nimmt uns dann mit auf einen nächtlichen Horrortrip durch ein verrottendes Wunderland, konkreter gesagt in den Berliner Spreepark, der seit 2002 geschlossen ist und seitdem aufs Malerischste verfällt.

Nicht weniger hoffnungslos, aber um einiges derber geht es in John Aysas „Achtarm-Skizzen“ zu. Ein paar Stichworte: Aliens, Analverkehr, Apokalypse. Heftig, heftig – wie von Herrn Aysa nicht anders zu erwarten!

Um den sündhaften Reiz der Gewalt geht es auch im phantastisch angehauchten Beitrag von J. H. Praßl. In „Tabula Rasa“ entdeckt eine junge Frau das Töten für sich und beschließt, die Profession der Assassinin zu ergreifen. Warum denn auch nicht?

„Teufelstum“ von Thomas McSweeny schließt den Kreis der Versuchung in Form einer ebenso faustischen wie flüchtigen Begegnung mit dem Ewigen Verführer.

Obendrauf auf’s literarische Sündenpaket gibt’s passende Illustrationen verschiedener Künstlerinnen und Künstler und Interviews und Reportagen, die jeweils thematisch auf die Short Storys abgestimmt sind: Beunruhigend tief lassen uns Bernhard Reicher und Dr. Nachtstrom darin in die zwielichtigsten Welten eintauchen. So spricht Reicher u.a. mit einem Sexualmagier, einem LSD-Reisenden und einem ehemaligen Fremdenlegionär (und JA, man fragt sich, woher der Interviewer nur immer diese ganzen Leute kennt!), und der Doc liefert u.a. eine fundierte Abhandlung über das zweifelhafte Vergnügen, Gespräche mit Toten aufzuzeichnen.

Fazit: Zum Jahresende übertrumpfen sich die österreichischen Dunkelmänner vom VISIONARIUM noch mal selbst und setzen mit ihrer Sonderausgabe ein (scharlachrotes) Signal an die deutschsprachige Phantastikszene (und das sage ich sicher nicht nur, weil da auch Hurdy Gurdys eigene Sünden mit drin stecken!^^). Doch seid gewarnt: Das weirde Zeug, das Reicher und Nachtstrom hier bündeln, ist nicht unbedingt ‚was für Babys, Sittenwächter*innen & Zartbesaitete (aber die treiben sich hier ja eh nur selten rum). Bleibt nur zu sagen: Weiter so im nächsten Jahr!

https://visionariumjournal.wordpress.com

Im Kino: THE ZERO THEOREM von Terry Gilliam

Um einen Außenseiter der soziophoben Art geht es im neuen Spektakel von Ex-Monty-Python Terry Gilliam, der zuletzt in „Das Kabinett des Doktor Parnassus“ zeigte, wie man das Problem eines plötzlich verstorbenen Hauptdarstellers auf elegante Weise löst. Für die Hauptrolle in seinem neuen Film konnte er Christoph Waltz verpflichten, von dem viele ja dank diverser Tarantino-Auftritte einiges erwarten (wobei er meiner randständigen Meinung nach als Roy Black in „Die Roy Black Story“ immer noch am besten war, aber das ist eine andere Geschichte, die hoffentlich niemals erzählt wird.)

Ist doch alles sinnlos, findet Qohen Leth (Christoph Waltz) (© 2014 Concorde Filmverleih GmbH)

Ist doch alles sinnlos, findet Qohen Leth (Christoph Waltz) (© 2014 Concorde Filmverleih GmbH)

In Meister Gilliams retro-futuristischer Zukunftsvision verkörpert also Christoph Waltz den einsamen Sonderling Qohen Leth. Dessen Seltsamkeit besteht vor allem darin, dass er ein hypochondrisches Computergenie ist, das von sich selbst in der 1. Person Plural spricht und in einer ausgebrannten Kirche haust. Dort würde sich Qohen am liebsten den ganzen Tag verschanzen und auf einen mysteriösen Anruf warten, der ihm den Sinn des Lebens erklären soll. Aber da ist ja noch die Firma ManCom, für die der Eigenbrötler als Codeknacker arbeitet. Und sein direkter Vorgesetzter (David Thewlis, bekannt als Hogwarts-Dozent und Werwolf Remus Lupin) denkt erst mal gar nicht dran, Qohens Wunsch nach Heimarbeit nachzukommen. Auftritt: Matt Damon als ominöser Firmenvorstand mit dem vielsagenden Namen Management! Der gestattet Qohen dann überraschenderweise doch, von zu Hause aus zu arbeiten – und zwar an einem Spezialproblem, einer Gleichung, die in puncto Lebenssinn mathematischen Aufschluss geben soll. Auftritt: Das Zero Theorem! Und das erweist sich als echte Herausforderung für den nervösen Helden. Dann funken ihm auch noch das Callgirl Bainsley (Mélanie Thierry) und Managements pubertierender Sohn Bob (Lucas Hedges) dazwischen.

Sehr viel mehr passiert eigentlich nicht in dieser knallbunten, dystopisch angehauchten Cyber-Sinnsuche, die Terry Gilliam in nicht allzu ferner Zukunft ansetzt. Statt einer guten Story gibt’s eine rappende Tilda Swinton (verschenkt!), ein schwarzes Loch und einen virtuellen Strand, an dem immer Sonnenuntergang ist. Dazu noch kurz Matt Damon als zwielichtiges Firmenoberhaupt, dessen Anzugmuster sich der Umgebung chamäleonartig anpasst – übrigens ein Witz, der schon 1968 in „Asterix und Kleopatra“ vorkam – und eine charmante Mélanie Thierry, die im Krankenschwester-, Schulmädchen- und Meerjungfrauenkostüm jedes Sexy-Hexy-Klischee bedienen muss, das sich ein Terry Gilliam vorstellen kann.

FAZIT: Danke, Mr. Gilliam – auch wenn Sie das hier natürlich nie lesen, geschweige denn übersetzen lassen werden. Sie haben mir mit „Time Bandits“ eine wunderbare Filmerinnerung beschert. Ihr „Fear And Loathing In Las Vegas“ hat mich erstmals mit Hunter S. Thompson bekannt gemacht – der Beginn einer lebenslangen (leider etwas einseitigen) Freundschaft. Sie waren ein Held meiner Jugend, ein irre inspirierter Magier, und haben Ihr besonderes Gespür für die sonderbaren Geschichten sonderbarer Charaktere oft bewiesen. Bei THE ZERO THEOREM (wie übrigens auch im Fall der „Brothers Grimm“) scheint Ihnen all das irgendwie abhanden gekommen zu sein: Qohen und die anderen Figuren kranken an Künstlichkeit und innerer Leere. Die viel zu offensichtlich auf skurril gebürsteten Charaktere wirken seelenlos, was leider dazu führt, dass einen das ganze Brimborium am Ende seltsam kalt lässt.

Mancher sah in THE ZERO THEOREM schon den Abschluss Ihrer sog. „Brazil“-Trilogie, bisher bestehend aus den thematisch verwandten „Brazil“ (1985) und „12 Monkeys“ (1995). Sie selbst, Mr. Gilliam, haben das allerdings bestritten. Vielleicht aus gutem Grund. ***//

Willkommen, willkommen!

… bei der Hurdy Gurdy Ma’am, Eurer Leierkastenfrau für’s Grobe (und Feine)!

Ein Blog für Außenseiterkultur also, so so, aha. Und was soll das jetzt genau sein?

Hacken wir den Begriff doch einfach mal in zwei Hälften: „Außenseiter“ HACK!Kultur“, und fangen bei der hinteren Hälfte an.

Es geht also um Kultur. Aber keine Panik: Hurdy Gurdy wird hier nicht versuchen, diesen wohl komplexesten Begriff aller Zeiten festzunageln – daran sind schon ganz andere gescheitert. Stattdessen macht sie es sich einfach und sagt: Musik, Filme, Bücher. Darum geht’s, und hin und wieder auch mal um ‚was Anderes. So viel Anarchie muss sein.

Dann also zur vorderen Hälfte. Die Außenseiter. All diejenigen, ohne die nicht nur das Leben, sondern auch die Kultur so viel langweiliger wäre:

All die Exzentriker, die Sonderlinge und die Ausgestoßenen. Die Freaks. Die mit den dicken Brillengläsern und den komischen Frisuren. Die Andersdenkenden, die Freigeister, die verrückten Genies. Das Gesocks. Die Punks, die Hippies, die Steppenwölfe. Die Verwirrten, die Verlorenen und die Vagabunden. Die Stummen und die Stotternden, die Hinkenden, die Strauchelnden und die gefallenen Engel. Die Schizophrenen, die Paranoiden. Die depressiven Cheerleader. Die Psychonauten und Raketenmenschen. Die Femmes und Hommes fatales. Die Undefinierbaren. Die Unmoralischen. Die Zweifelnden, die Grübler und die dunklen Visionäre. Die einsam Erleuchteten. Die Kinskis und die Kafkas, die Woolfs, die Bukowskis und Van Goghs. Die Outlaws. Die Robin Hoods, die Captain Ahabs, die Bonnies und Clydes. Die Feuerteufel, die Irrlichter und die verbrannten Hexen.

All diese und noch so einige mehr könnten Euch begegnen, wenn die Hurdy Gurdy Ma’am ihre Drehorgel anschmeißt, um über das zu erzählen, was sie und nur sie selbst ganz nonchalant als Außenseiterkultur bezeichnet.

Kommentare, Rezensionen, Sensationen. Außenseiter in der Musik, Außenseiter im Film, Außenseiter in der Literatur. Außenseiter-Musiker, Außenseiter-Regisseure, Außenseiter-Autoren. Alte Außenseiter, junge Außenseiter, weibliche, männliche, geschlechtsunbestimmte Außenseiter, außerirdische Außenseiter – Hauptsache, irgendwie daneben. Also, neben der Spur.

Immer subjektiv, nie allgemeinverbindlich wird Hurdy Gurdy Ma’am von ihnen und ihren Worten und Taten berichten, denn Hurdy Gurdy Ma’am glaubt nicht an Objektivität. Dass sie dem Dunklen und Devianten besonders zugetan ist, werdet Ihr auch schnell merken. Und wenn Ihr jetzt noch Lust habt, ihr zu folgen, dann viel Spaß dabei! Und wenn nicht, geht Eurer eigenen Wege, das sind eh die besten.

Ahoi,

Eure Hurdy Gurdy Ma’am